
Joachim Bauer
Vita
Univ.-Prof. Dr. Joachim Bauer
Univ.-Prof. Dr. Joachim Bauer ist Arzt, Neurowissenschaftler, Psychotherapeut und Sachbuchautor (u. a. „Das Gedächtnis des Körpers“, „Warum ich fühle, was du fühlst“, „Prinzip Menschlichkeit“, „Schmerzgrenze – Vom Ursprung alltäglicher und globaler Gewalt“, „Wie wir werden, wer wir sind“, „Das empathische Gen“).
In seinen Büchern erklärt Prof. Bauer, welche Bedeutung Erkenntnisse aus der modernen Hirnforschung für unser Zusammenleben in Familie, Schule, am Arbeitsplatz, in der Partnerschaft und in der Gesellschaft als Ganzes haben. Bauer war lange Jahre am Uniklinikum Freiburg im Breisgau tätig. Für herausragende Forschung, die ihn auch längere Zeit in die USA führte, wurde er von der Deutschen Gesellschaft für Biologische Psychiatrie mit einem renommierten Forschungspreis geehrt.
Er forscht, lehrt und praktiziert jetzt in Berlin.
www.psychotherapie-prof-bauer.de.
Input
Vortrag 1 (Montag):Aggression verstehen und begrenzen: Was können wir von den Neurowissenschaften lernen?
Wie wir an der oft hasserfüllten Kommunikation in den sozialen Netzwerken („Shitstorms“ und anderes), vor allem aber am furchtbaren Krieg in der Ukraine sehen können, ist die Welt voller Aggression. Dessen ungeachtet gibt es keinen „Aggressionstrieb“. Einen solchen Trieb können die modernen Neurowissenschaften nicht bestätigen.
Der „Aggressionstrieb“ war 1920 von Sigmund Freud erfunden worden. Die modernen Neurowissenschaften bestätigen, was bereits Charles Darwin erkannt hatte: Die stärksten triebhaften Strebungen des Menschen sind seine sozialen Instinkte („social instincts“). Einzige Ausnahme von dieser Grundregel sind Psychopathen.
Warum aber kommt es bei psychisch durchschnittlich gesunden Menschen zu Aggression? Wichtigster Aggressionsauslöser ist die willkürliche Zufügung von Schmerz. Nachdem die moderne Hirnforschung zeigen konnte, dass das menschliche Gehirn soziale Ausgrenzung und Demütigung wie körperlichen Schmerz registriert, wird klar, warum nicht nur körperlicher Schmerz, sondern auch Ausgrenzung und Demütigung Aggression hervorruft (siehe: Bauer, Joachim: Schmerzgrenze – Vom Ursprung alltäglicher und globaler Gewalt).
Eine Welt ganz ohne soziale Ausgrenzungserfahrungen wird es nicht geben können. Für den Frieden von überragender Bedeutung ist nicht nur, dass wir soziale Ausgrenzungen soweit möglich vermindern, sondern auch, dass Menschen lernen, Gefühle der Frustration oder Wut ohne Gewalt zu kommunizieren und Konflikte friedlich beizulegen. Kinder und Jugendliche müssen dies schon im Elternhaus, in der Kita und in der Schule lernen.
Vortrag 2 (Dienstag): Empathie aus neurowissenschaftlicher Sicht
Der Begriff der Empathie wird in sehr unterschiedlichen Bedeutungen benützt. Aus wissenschaftlicher Sicht umfasst die Empathie:
1. eine intuitiv-emotionale Komponente („Einfühlung“),
2. einen intellektuell-rationalen Aspekt (analytisches Nachdenken über die Motive eines anderen Menschen) und
3. hilfreiches Handeln.
Empathie ist nicht angeboren, lediglich die Fähigkeit, Empathie zu entwickeln ist angeboren. Neueste Forschungsergebnisse zeigen, dass eine empathische und prosoziale Grundeinstellung auch einen Beitrag zur eigenen Gesundheit leisten kann. Empathie ist somit nicht nur Voraussetzung für gutes Zusammenleben. Die Fähigkeit, sich spontan und intuitiv in andere Menschen einfühlen zu können (Komponente 1), hat ihre neurobiologische Basis im System der Resonanz-Nervenzellen (zu denen u. a. auch die Spiegelnervenzellen zählen).
Beim analytischen Nachdenken über die Motive eines anderen Menschen (Komponente 2) benützt der Mensch Nervenzell-Netzwerke, die ihren Sitz in der unteren Etage des Stirnhirns haben. Dazu zählen auch die sogenannten Selbst-Netzwerke, die nicht nur abgespeichert haben, wie wir selbst „funktionieren“, sondern uns zugleich auch dazu dienen, andere Menschen zu dechiffrieren.
Intuitive Einfühlung (Komponente 1) und die Fähigkeit, bewusst über die Motive eines anderen Menschen nachzudenken (Komponente 2), sind eine begünstigende, aber keineswegs hinreichende Voraussetzung für tatsächliche Hilfsbereitschaft (Komponente 3).
Voraussetzung für die Entwicklung von Empathie ist einerseits, dass Kinder und Jugendliche selbst Empathie erlebt haben, andrerseits aber auch, dass sie im Rahmen der Erziehung angehalten werden, die Regeln zu verinnerlichen, die gutes soziales Zusammenleben ermöglichen. Beides hat pädagogische Bedeutung: Empathische Fürsorge und Erziehung zur Selbststeuerung.